Verfolgung der Zeugen Jehovas / Bibelforscher in Viersen
am Beispiel von Rolf Pfaff
Überregionales
Der Grund für die generell erbarmungslose Verfolgung der Zeugen Jehovas ist zunächst einmal in der vollkommen kompromisslosen Haltung gegenüber dem NS-Staat zu suchen. Nicht einzelne Züge oder NS-Programmpunkte wurden verworfen, sondern das gesamte System als Ausgeburt des Bösen schlechthin verdammt. In dieser totalen Ablehnung besaß der religiös fundierte Widerstand der Zeugen Jehovas eine politische Dimension. Ihre Lehre war im höchsten Maße „staatsfeindlich“. Dabei bewiesen die Ernsten Bibelforscher eine Unerschrockenheit und eine Bereitschaft zum Martyrium, die nur aus dem Glauben an die eigene Sendung und das Kommen von Jehovas Herrschaft erwachsen konnten.
Weiterer Grund für die Verfolgung der Zeugen Jehovas waren im Übrigen deren Ablehnung des Rassismus und vor allem der internationale Charakter der Organisation und die unterstellten Verflechtungen mit dem „Internationalen Judentum“ und dem Kommunismus.
Die „Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher (IBV)“ war erstmalig am 24.6.1933 verboten worden. Mit dem allgemeinen Reichsverbot am 1.4.1935 wurde auch das gesamte Vermögen der „Sekte“ eingezogen. Um Fahrten zu internationalen Treffen zu unterbinden, verhängte die Gestapo Düsseldorf eine allgemeine Passsperre für Zeugen Jehovas.
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.... amtlich angeordneter Kindesentzug
Da sie sozial weitgehend isoliert waren, mussten die Nazis selbst bei schärfstem Vorgehen gegen die Zeugen Jehovas keine Unruhe in der Bevölkerung befürchten.
(Schüngeler, Heribert: Widerstand und Verfolgung in Mönchengladbach und Rheydt, MG 1985, Seite 320/321 )
Den Zeugen Jehovas wurde während ihrer Gefängnis- oder KZ-Haft ab 1935 eine „Erklärung“ (Revers) vorgelegt, die sie unterschreiben und sich damit von ihrem Glauben lossagen sollten.
So gab man den Bibelforschern -im Gegensatz zu anderen Verfolgtengruppen- die Möglichkeit, die Freiheit wiederzuerlangen und sich in die „Volksgemeinschaft“ einzugliedern. Nur wenige waren hierzu bereit.
Während der NS-Zeit waren in Deutschland und in den besetzten Ländern Europas rund 13.500 Zeugen Jehovas Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, davon waren 11.300 unterschiedlich lange inhaftiert, 4.200 davon in Konzentrationslagern. Die Gesamtzahl der namentlich erfassten Todesopfer liegt bei 1.490. Mehr als 300 von ihnen wurden wegen Kriegsdienstverweigerung oder „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet.
Allein in Deutschland waren 10.700 Zeugen Jehovas von Hausdurchsuchungen, Entlassungen, Entzug der Rente beziehungsweise der Unterstützung oder von amtlichem Kindesentzug betroffen, über 8.800 waren inhaftiert, davon 2.800 in KZ. Unter den bekannten Todesopfern sind 950 deutsche Zeugen Jehovas.
Die Religionsgemeinschaft zeigte große Geschlossenheit, sich dem Anpassungsdruck der Nazis zu widersetzen und ihrem Glauben treu zu bleiben. Ihre Überzeugung und gute Organisation führten zu einem hohen Beteiligungsgrad der Gläubigen an Widerstandsaktionen. Die Nazis verfolgten auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes NRW etwa 2.000 Zeugen Jehovas , wobei über 200 Gläubige das Leben verloren.
(Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW e.V.: 12 Jahre – 12 Schicksale, Münster 2006 )
Die Zeugen Jehovas blieben ganz überwiegend unbeugsam trotz Wegnahme ihrer Kinder und schärfster Verfolgung.
Die DDR verbot die Zeugen Jehovas 1950 – einige Hundert NS-Opfer wurden unter der SED-Diktatur erneut verfolgt und erlitten, wie tausende Mitgläubige, jahrelange Haftstrafen. Kurz vor der Wiedervereinigung im Oktober 1990 erhielten Zeugen Jehovas in der DDR die staatliche Anerkennung. In der BRD wurde die Religionsgemeinschaft unmittelbar nach dem Krieg anerkannt, doch erhielt sie erst 2005 nach einem über 12-jährigen Rechtsstreit den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. (Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW e.V.: 12 Jahre-12 Schicksale, Münster 2006)
Nachforschungen für den Viersener Raum stehen noch am Anfang. Im Kreisarchiv Viersen befindet sich die Entschädigungsakte Rolf Pfaff (und die seines Vaters Bernhard), der 1944/45 wegen Wehrdienst- und Eidverweigerung inhaftiert war und später als verfolgter „Ostzonenflüchtling“ aus Leipzig nach Viersen kam.
Rolf Pfaff
(Auszug aus der Datenbank der Virtuellen Gedenkstätte Viersen)
GEBURT
06.06.1928 in Leipzig
ADRESSE
Gladbacher Str. 57 in Viersen
BERUF
Jungpostbote, später Hilfsarbeiter in wechselnden Arbeitsstellen
VERFOLGUNGSGR.
Zeugen Jehovas / Bibelforscher
JURISTISCHES
Haft 17.12.1944-20.04.1945
ANMERKUNGEN
Karl-Heinz Rolf Pfaff wuchs in Leipzig auf. Seine Eltern (Bernhard und N.N.) waren bereits Zeugen Jehovas. Rolf absolvierte seit 1942 eine Ausbildung zum Postboten, die er nicht abschließen konnte. Am 21.11.1944 wurde er zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen. Da er den Fahneneid und den Wehrdienst insgesamt verweigerte, wurde er am 17.12.1944 verhaftet und kam bis zum 18.1.1945 in Arrest zunächst in Mansfeld/Harz, vom 19.1. bis 13.2.1945 im Gefangenenraum der Kaserne in Brandenburg, vom 14. bis 27.2.1945 im Gebäude des Reichskriegsgerichts (RKG) in Cottbus und vom 28.2. bis 20.4.1945 im Militärgefängnis Torgau (Festung "Fort Zinna"). Bei der Räumung angesichts näher rückender russischer Truppen konnte er am 20.4.1945 fliehen. Am 25.4.1945 wurde er von den Amerikanern festgenommen und am 24.6.1945 aus der Gefangenschaft entlassen. In der "Ostzone" wurde er als Opfer des Faschismus anerkannt. Da die Zeugen Jehovas auch in der DDR verfolgt wurden, siedelte die Familie notgedrungen in die BRD über. Rolf wurde 1949 durch Sammeltransport des Flüchtlingsjugendlagers Poggenhagen (bei Hannover) am 30.8.1949 nach Löwenich geschleust. Er verzog am 2.5.1951 von Doverheide/Kreis Erkelenz nach Viersen. Er arbeitete in der elterlichen Schleiferei und bei verschiedenen Arbeitgebern, so im Bergbau und 1955 als Farbmischer bei der Fa. Quack und Fischer in Viersen. Sein Antrag auf Entschädigung in Höhe von 600.-DM wegen der Haft vom 17.12.1945 bis 20.4.1945 (Schaden an Freiheit und Erwerbsschaden) wird mit Bescheid des Regierungspräsidenten vom 19.7.1957 mit einer seinerzeit gegenüber Zeugen Jehovas üblichen Begründung abgelehnt: Inhaftnahme wegen Verweigerung des Wehrdienstes und wegen verweigerter Eidablegung kann nicht als nationalsozialistische Gewaltmaßnahme gewertet werden.
Fazit: Als Opfer anerkannt, aber keine Entschädigung.